Blau Badekappe

Das Mädchen sitzt am Schwimmbecken und schreibt. Sie schreibt in ihr Tagebuch, das auf ihren Knien ruht. Solange sie schreibt, ist sie zufrieden. Das Papier empfängt und absorbiert all ihre pubertären Verunsicherungen und Beklemmungen. Fast hat sie Angst, mit dem Schreiben aufzuhören. Sie ist unglücklich verliebt. Der unwissende Junge scheint außerhalb ihrer Reichweite zu sein.

Sie sitzt auf einem Stein, in ihrem perserblauen Sportbadeanzug, ein schlichtes Modell mit sehr dünnen Armstreifen. Das Mädchen ist nicht besonders hübsch, eher gewöhnlich, aber sie strahlt Gesundheit aus. Braun gebrannt, der Teint des Skiläufers. Sie ist von mittlerer Statur, von schwerem Knochenbau, aber auf keinen Fall dick, eher sportlich, mit langen starken und schönen Armen, die sie gerade nach vorne streckt in eine konzentrierte Schreibhaltung. Abwesend kaut Sie ab und zu an ihrem Stift. Ihre Backenknochen sind breit und hoch, die Haut glatt gespannt. Was an ihr schön wirkt, kommt von ihren jungen Jahren. Sonst ist sie unscheinbar. Ihre Lippen dünn, ihre Augen dunkel, grau-blau, die Harre gehen bis zur ihrer Hüfte und sind in zwei langen Zöpfen geflochten, die gerade an ihren Seiten herunterbaumeln. Das Haar selbst ist glatt, glänzt vor Sauberkeit und hat einen braunen Farbton, der an blonde Tage erinnert. Der Seitenscheitel trennt streng ihren Kopf, die Haare sind von links nach rechts gezogen und dort mit einer schlichten Haarklammer an ihrem Kopf festgemacht.
Sie könnte ein polnisches Mädchen sein oder eine Norddeutsche. Sie konnte Alla, Anna, Monika oder Marijka heißen. Ihrer Frisur nach spielt sich diese Szene in der Vergangenheit ab, vielleicht in der Vorkriegzeit.

Sie sitzt am Rande des Pools. Es ist ein außergewöhnliches Schwimmbecken, das sich in einem Freibad befindet. Es ist ein Naturpool. Das Wasser ist eisig und klar, mehr bläulich-weiß als blau. Sie schreibt, gleichzeitig aber schwimmt sie unter Wasser. Eine starke Unterwasserströmung reißt ihr die Badekappe vom Haupt. Sie hat sie von ihrer Oma bekommen, "nur ausgeliehen", hat Oma gesagt. Vielleicht gibt es zu dieser Zeit noch den Zwang, eine Badekappe zu tragen. Die Kappe ist dunkel ultramarinblau, aus glattem Gummi und passt gut zu ihrer braunen Haut und dem blauen Badeanzug. Für die Oma hat diese Gummihaube einen besonderen emotionalen Wert. Es ist ein Erinnerungsstück.

Das Mädchen ist unglücklich, was soll sie nur ihrer Oma sagen. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Ob jemand ihr glaubt, dass so ein ruhig aussehender Pool so starke Strömungen hat, die ihr die Kappe vom Kopf reißen konnte? Sie entscheidet sich zu sagen, dass diese blaue Gummikappe zu ihren Füßen lag, als sie dort gesessen hat und vom Wasser weggeschwemmt worden ist, das plötzlich kam. Und vielleicht war es wirklich so. Wie leicht kann man sich von den eigenen Lügen überzeugen lassen. Oder war es wirklich so?

Seit diesem Tag hat sich etwas geändert in ihrer Beziehung zu der alten Frau. Es gibt eine sich wiederholende Episode. Die Oma macht die Tür zu ihrer Wohnung auf, wo sie allein lebt. Draußen steht das Mädchen. Die alte Frau ist relativ groß, stark und hat den typischen grauen Dutt und typische Altfrauenkleider. Ihr Gesicht ist unwichtig. Sie ist eben "die Oma". Jedes Mal, wenn das Mädchen sie besucht, macht sie die Tür auf und sagt vorwurfsvoll: "Aber die blaue Schwimmhaube, die schon sechzehn Jahre alt war, hast du verloren. Hinten ist die hell beleuchtete Zimmerwand zu sehen und flüchtig erscheint ein Abbild von einem, auf einem Nagel hängenden blauen Schatten. Das Mädchen ist traurig. Sie geht in die Badeanstalt und überlegt sich, ob sie vielleicht die Empfangsdame dort danach fragen sollte, ob eine blaue schöne Bademütze gefunden worden ist. Ein so selbstsicher aussehendes, aber ziemlich schüchternes und aufgewühltes Mädchen, findet nicht die Worte für die Formulierung ihrer Frage.

Eine Weile später kommt sie einmal mit ihren Eltern dorthin. Die Eltern erscheinen nur kurz im Bild in ihrer Zweisamkeit. Elegant, schlank und groß, gut angezogen, in den Dreißigern.
Das Mädchen steht am Rande des Pools. Die obere Wasserschicht ist gefroren und durchsichtig. In der Tiefe kann man das trübe eisigfarbige Wasser sehen. Nur nahe an der Oberfläche gibt es fließendes Wasser. In der Tiefe gibt es Strömungen, und so wie bei Luftaufnahmen vom Meer zeigen sich auch hier Vertiefungen als dunklere, blaue Flecken, sonst ist das Wasser eisig-weiß. Einer von diesen blauen Flecken hat ein rundes Format von ungefähr fünfzig Zentimetern Durchmesser und hat einen noch dunkleren Ring herum. Das Mädchen überlegt sich, ob sich nicht doch die verlorene Badekappe dort befindet. Leider ist es nicht möglich hinunterzutauchen, um es zu prüfen.

Und dann gibt es eine Überraschung. Ihre Eltern nähern sich elegant und lächelnd, in der Hand hat ihre Mütter eine blaue Gummibadehaube. Sie gibt sie dem Mädchen und erzählt, dass die Empfangsdame sie gefunden hat. Ihr ist es aufgefallen, dass das Mädchen sie etwas fragen wollte und sich nicht getraut hat. In ihrer Phantasie sieht sich das Mädchen, wie sie triefendnass und frierend, ihre Zöpfe am Köpf klebend, dort steht und die dunkel getönte Glastür anstarrt, wo eine Bewegung zu sehen ist: Menschen bei ihrer Arbeit. Sie nimmt das Ding in die Hand. In ihrer Erinnerung ist es von einem tieferen Blau und von festerer Struktur. Jetzt ist sie verblasst und die Farbe ist mehr türkis als blau. Sie glänzt auch nicht mehr. Sie liegt in ihrer Hand wie eine lang vergessene Erinnerung, ein Souvenir vergangener Zeiten. Sie sieht aus wie eine blau gefärbte skalpierte Kopfhaut. Das Mädchen sieht sie mit Erstaunen an und macht sich auf den Weg, sie zurückzubringen. Erst ist sie gleichgültig, sie kann sich nur ein bisschen freuen, weil ein lang unterdrücktes Gefühl von Zorn in ihr hochsteigt.